Dr. med. Mareike Knör und Evelyn Fenn geben im folgenden Interview einen Einblick in den SAPV-Arbeitsalltag und sprechen über ihre Motivation und die ganz speziellen Herausforderungen ihrer Arbeit. Wie sind Sie zu Palliativo gekommen? Was hat Sie bewogen? Wie kamen Sie in Ihr jetziges Tätigkeitsfeld? Evelyn Fenn: Nachdem ich knapp 8 Jahre im Hospiz gearbeitet habe, wünschte ich mir eine Veränderung und fand die Stellenanzeige in der Zeitung. SAPV war für mich ein Tätigkeitsfeld in der Palliativ-Arbeit, das mich schon lange sehr interessierte. Dr. med. Mareike Knör: Da ich in der HNO-Klinik unter anderem viele Tumorpatienten betreute, interessierte mich die Palliativmedizin immer mehr. Daher reagierte ich auf eine Stellenanzeige von Palliativo und hospitierte zunächst eine Woche. Die Arbeit und das Team haben mir so gefallen, dass ich mich entschieden habe, die Palliativweiterbildung zu beginnen und nach einer Übergangszeit den Fachbereich vollständig zu wechseln.
Wie unterscheidet sich die Arbeit in der SAPV von ihren bisherigen Tätigkeiten?
Dr. med. Mareike Knör: Der Alltag in einer Klinik unterscheidet sich stark zu der ambulanten Tätigkeit, zum Beispiel im Zeitkontingent pro Patienten und der Individualität sowie Intensität der Betreuung. Das Patientenklientel und die Erkrankungen sind nun aus jedem Fachbereich, so dass sich mein Wissen und meine Fachkompetenz deutlich erweitert haben. Eine Besonderheit ist es, die Patienten in ihrem häuslichen Umfeld zu betreuen und neben den körperlichen, auch psychosoziale und seelische Aspekte mehr zu berücksichtigen. Evelyn Fenn: Der größte Unterschied im Vergleich zu meiner Arbeit im Hospiz ist, dass ich die Patienten in ihrer persönlichen Umgebung erleben und betreuen darf. Die geregelten Arbeitszeiten sind auch eine Neuigkeit im Vergleich zum Drei-Schicht-System im Hospiz. Mein Zeitmanagement für die Betreuung ist auch sehr individuell, ich kann meine Besuche den Bedürfnissen der Patienten anpassen und kann mich während des Besuchs auf den Patienten allein konzentrieren.
Wie dürfen wir uns einen Arbeitstag vorstellen? / Wie können wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Dr. med. Mareike Knör/Evelyn Fenn: Der Tag beginnt um 08:00 Uhr mit einer kurzen Frühbesprechung, dazu gehört der Bericht der Diensthabenden und anschließend das Durchgehen der Tagesplanung. In der Tagesplanung werden Erstaufnahmen, Hausbesuche und Telefonate auf die vorhandenen Teams verteilt. Patienten, die wir zum ersten Mal kennenlernen, werden immer durch einen Arzt und eine Pflegekraft besucht. Ein Erstbesuch kann zwischen 60-120 Minuten dauern. Auch die Fahrtzeiten von bis zu einer Stunde, da wir ein großes Versorgungsgebiet haben, müssen in den Tagesablauf eingeplant werden. Einmal wöchentlich ist große Teambesprechung aller aktuell durch uns betreuten Patienten und auch Raum über persönliche Dinge zu sprechen, wie belastende oder schwierige Situationen im Arbeitsalltag.
Sie besuchen also die Patienten zu Hause.
Das macht der Hausarzt doch auch. Worin unterscheidet sich die SAPV von der hausärztlichen Versorgung? Dr. med. Mareike Knör/Evelyn Fenn: Wir sind keine Hausärzte und auch kein Pflegedienst. Wir sind speziell ausgebildetete PalliativeCare-Fachkräfte und erfahrene Palliativmediziner. Die Palliativmedizin richtet ihr Hauptaugenmerk auf die Behandlung der Beschwerden einer weitfortgeschrittenen Erkrankung. Zudem gehören auch Gespräche zur Krankheitsverarbeitung und eine vorausschauende Planung der Versorgung zu unseren Aufgaben. Dies alles dient dem Ziel, die individuelle Lebensqualität der Patienten und ihrer Zugehörigen zu verbessern. Eine vorausschauende Therapieplanung kann hierbei helfen, Krisen vorzubeugen. Unsere Patienten möchten meistens in der Häuslichkeit verbleiben. Zur SAPV gehört auch 24 Stunden/7 Tage-Erreichbarkeit der SAPV. Die haus- und fachärztliche Versorgung bleibt davon unberührt. Chronische Erkrankungen wie beispielsweise Bluthochdruck, Diabetes oder Schilddrüsenerkrankungen verbleiben in der hausärztlichen Verantwortung.
Was reizt Sie an der Arbeit?
Dr. med. Mareike Knör: Mich reizt und fordert immer wieder die Komplexität der Patienten und der familiären Strukturen. Auch dass ich immer wieder vor neuen Herausforderungen und Situationen stehe, für die es individuelle Lösungen zu finden gilt, macht die Arbeit sehr abwechslungsreich. Dabei unterstützen wir uns im Team gegenseitig. Evelyn Fenn: Die Betreuung der Patienten in ihrem eigenen Zuhause ist etwas sehr Besonderes. Nun bin ich der Gast beim Patienten. Wir geben den Patienten und den Angehörigen Sicherheit und Stabilität. Dadurch können die Patienten ihre verbleibende Zeit einfach besser nutzen und auch noch etwas genießen.
Welche Herausforderungen sehen Sie?
Dr. med. Mareike Knör: Es gibt selten Standard-Situationen, man muss sich immer wieder aufs Neue auf den jeweiligen Menschen einlassen. Ärztlicherseits ist auch das breigefächerte Spektrum der Fachgebiete und der jeweiligen Erkrankungen herausfordernd. Auch die Koordination der Zusammenarbeit mit den Hausärzten und anderen mitbehandelnden Fachdisziplinen kann herausfordernd sein. Evelyn Fenn: Es ist nicht jeder Tag wie der andere, die Gesundheitszustände können sich sehr schnell ändern, was dann ein rasches Handeln erfordert. Der Umgang mit Tod und Sterben ist jeden Tag präsent. Dies kann zum Teil auch belastend sein.
Was sind die größten Herausforderungen?
Dr. med. Mareike Knör: Die größte Herausforderung für mich ist den Patienten und die Angehörigen dort abzuholen, wo sie stehen. Dies ist bei jedem Menschen sehr individuell und erfordert viel Feingefühl. Zudem ist es herausfordernd die eigenen Grenzen zu wahren und zu akzeptieren nicht jede Situation für alle zufriedenstellend lösen zu können. Evelyn Fenn: Sicherlich Angehörige und Patienten abholen, wo sie gerade stehen. Jedoch auch, dass manchmal nicht alle Wünsche des Patienten und der Zugehörigen erfüllt werden können, auch wenn man sein Möglichstes gibt.
Eine schwere Arbeit. Woraus ziehen Sie Ihre Motivation? Welche schönen Momente gibt es?
Dr. med. Mareike Knör/Evelyn Fenn:: Dem Menschen zu ermöglichen, selbstbestimmt und im Kreise seiner Familie zu sterben. Es ist immer wieder eindrucksvoll wie mit einer adäquaten Therapie der Symptome und dem Schaffen unterstützender Strukturen ein Zugewinn an Lebensqualität für Patient und Angehörige, trotz schwerer Erkrankung, erreicht werden kann. Immer wieder erleben wir Patienten wie ausgewechselt, im positiven Sinn. Uns wird viel Dankbarkeit von den Patienten und Angehörigen entgegengebracht, das ist eine große Motivation.
Abschließend: Welchen Wert sehen Sie in der SAPV?
Dr. med. Mareike Knör: Unser Aufgabengebiet ist eine sehr wertvolle Arbeit, sie verändert den Blickwinkel auf das Sterben und dass es in aller Traurigkeit immer auch schöne Momente gibt. Es ist eine Chance als Familie enger zusammenzurücken und wertvolle Erinnerungen zu kreieren. Evelyn Fenn: Das Sterben gehört zum Leben dazu. Das Thema Sterben wird durch unsere Arbeit ein Stück weit enttabuisiert. Das Sterben eines lieben Angehörigen kann auch für die Zugehörigen ein wertvolles Erlebnis sein, wenn Patienten in ihrer eigenen Umgebung im Kreise ihrer Angehörigen versterben können.
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